Gleichwertigkeitsbericht 2024

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat auf 226 Seiten in einem Gleichwertigkeitsbericht 2024 statistische Daten der Lebenswelten in der Bundesrepublik mit den subjektiven Sichtweisen der Menschen zu ihrer eigenen Situation verglichen. Ziel war es, herauszufinden, wie es um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse steht: „Die Bundesregierung versteht unter ‚Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse‘ in erster Linie i) wirtschaftliche Kohäsion, ii) gesellschaftlichen Zusammenhalt und Teilhabe, iii) Zugang zu Infrastruktur und Daseinsvorsorge und iv) Schaffung der ökologischen Rahmenbedingungen für ein gutes Leben und Wirtschaften in Deutschland.“ (S. 8)

Der Bericht ist in zwei Schritten vorgegangen (vgl. Abbildung 1, S. 9): Zuerst wurden vergleichbare, regelmäßig erhobene sozial- und wirtschaftsstatistische Daten auf regionaler Ebene für 400 Kreise und kreisfreie Städte zusammengetragen und daraus 42 Indikatoren zu den vier Themenkomplexen Wirtschaft, Gesellschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge sowie Klima und Umwelt gebildet (S. 10-11). Diese spiegeln damit die vermeintlich objektive kollektive Lage der Menschen in diesen Regionen wieder. In einem zweiten Schritt wurde eine Bevölkerungsstichprobe gezogen, die den Kriterien der Erhebung entsprach. Von den danach angeschriebenen Menschen antworteten 31.093 auf die Interviewfragen vollständig und die daraus auswertbaren Antworten wurden „nach soziodemografischen und regionalen Merkmalen gewichtet, um etwaige strukturelle Verzerrungen der Rückläufe im Vergleich zur Ausgangsstichprobe auszugleichen.“ (S. 81). Die Auswertung dieser Interviews spiegelt die subjektive Lage der Menschen wider und wurde im Bericht mit den statistischen Daten in Beziehung gesetzt, wobei alles jeweils kartografisch abgebildet wird und damit visuell gut vergleichbar ist. Zudem gab es noch acht Gruppendiskussionen, mit Menschen, die sich bürgerschaftlich besonders engagieren. Die Aussagen in diesen Fokusgruppen können als Indiz für mögliche Themen gewertet werden, die es noch zu bearbeiten gilt (S. 112 bis 120).
Angesichts der vielen Daten lohnt sich der Blick auf die Themen, aus denen sich formal auf eine bestimmte gesundheitliche Lage zurückschließen lassen könnte. So etwa die Infos zum Wohlstand (u.a. BIP-Wachstum, Arbeitslosigkeit, Entgelte, Steueraufkommen; S. 14-32), dem demografischen Wandel (u.a. Altenquotient, Lebenserwartung, Sterblichkeit, S. 42-49), einigen wenigen Daten zur medizinischen und pflegerischen Versorgung (S. 62-65) und zur Umweltverschmutzung (u.a. Feinstaubbelastung, S. 70-71).

Im zweiten Teil des Berichts werden die Ergebnisse der repräsentativen Bevölkerungsumfrage, an der über 31.000 Menschen teilgenommen haben, dargestellt. Dabei konnte auf einer Skala von 0-10 eine niedrige bzw. hohe Zustimmung geäußert werden. So gab es mit durchschnittlich 6,8 Punkte sehr viel Zustimmung auf die erste Frage: „Wie zufrieden sind Sie alles in allem mit Ihrer derzeitigen Lebenssituation?“. Am stärksten fiel dies bei den Älteren (mit höherem Einkommen) aus; je älter und je höher das Einkommen, desto zufriedener äußerten sich die Menschen. „Fast zwei Drittel der Befragten sind mit ihrer derzeitigen Lebenssituation eher oder ganz und gar zufrieden.“ (S. 82). Interessanterweise unterscheidet sich diese Zufriedenheit nicht sehr stark (Ost 6,6 von 10; West 6,9 von 10). Grundsätzlich sind 28 Prozent davon überzeugt, dass es sich in ihrer Region besser lebt als anderswo und umgekehrt äußerten 19 Prozent das Gegenteil (S. 85). Auf die Frage, welche drei von dreizehn Aspekten für die eigene Lebensqualität besonders wichtig wären, ergab das Ranking (S. 87): „Gute Gesundheits- und Pflegeversorgung“ (16 Prozent) vor „Bezahlbarer Wohnraum“ (16 Prozent) sowie „Sicherheit vor Kriminalität“ (14 Prozent) und „Guter Zustand von Natur und Umwelt“ (12 Prozent). Interessant ist, dass ganz am Ende der Skala „Möglichkeiten der politischen und gesellschaftlichen Beteiligung“ genannt wurde (1 Prozent), was einige Fragen aufwerfen könnte.

Der Wunsch nach guter Gesundheits- und Pflegeversorgung spiegelt sich auch in der Bewertung der medizinischen Versorgung wider: „Bundesweit sind lediglich 44 Prozent der Befragten der Ansicht, dass die Versorgung mit grundversorgenden Fachärztinnen und Fachärzten gut ist“ (S. 100), wobei in den Großstädten 64 Prozent dem zustimmen. Eine ähnliche Diskrepanz zwischen allen Kreisen und den Großstädten gibt es bei der Frage nach der Versorgungslage mit Krankenhäusern. Wenig verwunderlich ist auch, dass die Luftqualität in den Großstädten sehr kritisch gesehen wird , während dies im bundesweiten Durchschnitt sehr positiv gesehen wird (S. 110).

Die Ergebnisse aus den Fokusgruppen sind wegen ihrer Auswahlprinzipien und den dort zu findenden O-Tönen bestimmt für die eine oder den anderen von Interesse, doch spielen dort Gesundheitsthemen bzw. Selbsthilfe-Themen keine größere Rolle (S. 112-120). Lediglich an einer Stelle scheint dies durch, wenn ein Fazit seitens der Beteiligten so zusammengefasst wird: „Engagierte erreichen bestimmte Zielgruppen laut der Teilnehmerinnen und Teilnehmer leichter und können Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Deshalb muss die Einbeziehung bürgerschaftlichen Engagements in Projektkon-zeption und -durchführung ermöglicht beziehungsweise vereinfacht werden“ (S. 120).

In der Zusammenfassung schafft es der Bericht durch die kartografische Gegenüberstellung der statistischen Erhebungen aus dem ersten Teil und der subjektiven Bewertung aus dem zweiten Teil optisch schnell zu verdeutlichen, wo es potenzielle Unterschiede in den Aussagen gibt. Wo legt die Analyse der Statistik etwa andere Ergebnisse und Schlüsse, was zu tun wäre, nahe, als es die Antworten auf die Befragung tun würden? Insgesamt ist allerdings vieles relativ deckungsgleich, d.h. die Daten und die gefühlte Lage stimmen (überraschend?) häufig überein.

Im letzten Schritt wird dies analytisch noch stärker herausgearbeitet, denn es wurden 11 Regionen-Cluster erstellt, die ganz bestimmte Merkmals teilen wie etwa „Städtische Regionen mit sozialen Herausforderungen“, „Ländliche Räume mit demografischen Herausforderungen und positiver wirtschaftlicher Entwicklung“ oder auch „Wachsende und wirtschaftsstarke Großstädte“. (S. 131). Hamburg findet sich mit 24 anderen Städten im letzterem wieder (S. 138-140). Dabei stechen diverse Ergebnisse hervor. Während die Versorgungslage und die Infrastruktur sehr positiv abschneiden und bewertet werden, schlägt die Umweltbelastung negativ zu Buche. Am stärksten fällt das Urteil beim Wohnraum aus: „In keinem anderen Cluster hat ‚bezahlbares Wohnen‘ eine höhere Relevanz für die empfundene Lebensqualität.“ (139).

Im Anschluss erfolgt im Kapitel V „Maßnahmen der Bundesregierung zur Stärkung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland“ eine kartografische Gegenüberstellung bestimmter Fördertöpfe/-mittel mit Bezug auf die 400 Kreise und kreisfreien Städte, die bisher analysiert wurden. Dazu wurden möglichst viele Förderprogramme „übereinandergelegt“, um zu ermitteln, wo diese insgesamt hingeflossen sind: „Auf Basis einer neuen einheitlichen Datenbasis der einzelnen GFS-Programme konnte in einem ersten Schritt die regionale Verteilung der Fördermittel analysiert werden.“ (S. 176). Ziel war es nicht nur lediglich die Gesamtsumme für die 400 Regionen zu ermitteln, sondern diese mit den anderen Indikatoren vergleichen zu können. Abgesehen davon, dass wenig überraschend die fünf ostdeutschen Länder am stärksten von den Förderprogrammen profitiert haben, floss das meiste Geld in dünn besiedelte ländliche Kreise. Der Bericht konstatiert zudem, dass die Förderung „in vielerlei Hinsicht positiv zur Entwicklung der geförderten Regionen und damit zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, also zur Konvergenz von Regionen,“ beiträgt (S. 179). Ähnliche Bewertungen werden später ebenfalls noch einmal hervorgehoben (S. 207).
Im letzten Kapitel werden unter „Weitere Maßnahmen“, diejenigen benannt, die folgen sollen bzw. schon erfolgen (S. 183-211). Das übergeordnete Ziel wird im Fazit des Berichts deutlich: „Der Gleichwertigkeitsbericht soll Ansatzpunkte liefern, um weitere Fortschritte bezüglich der Stärkung gleichwertiger Lebensverhältnisse zu erreichen“ (S. 212). Der Bericht konstatiert zwar einerseits Unterschiede, insbesondere zwischen ost- und west- sowie nord- und süddeutschen Regionen, doch sind diese gleichzeitig in den letzten Jahren zurückgegangen (vgl. Abbildung 101, S. 213).

Spannend sind aber wie immer die Unterschiede und die Frage, ob der nächste Gleichwertigkeitsbericht weitere Daten aus den Regionen gewinnen kann, die eine vertiefendere Analyse als bisher ermöglichen. Zudem ist zu fragen, ob weitere methodische Auswertungen hilfreich wären, etwa Kontrastgruppenvergleiche bzw. zu naheliegenden Fragen nach materiellem Wohlstand und subjektiven Befindlichkeiten. Außerdem wäre es angesichts der zahlreichen Berichte, die kartografische Darstellungen des aufgearbeiteten Zahlenmaterials bieten, wünschenswert, wenn das Material des Gleichwertigkeitsberichtes allen interessierten Forschenden zur Verfügung gestellt werden könnte.
Zusammen mit dem an anderer Stelle schon auf unserer Website vorgestellten Bericht „Entkoppelte Lebenswelten? Soziale Beziehungen und gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland“ wäre auch dem Gleichwertigkeitsbericht zu Recht eine größere Leserschaft zu wünschen.

Frank Omland
(Öffentlichkeitsarbeit)

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