Das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt wurde 2020 ins Leben gerufen und hat aktuell einen so genannten Zusammenhaltsbericht veröffentlicht: „Entkoppelte Lebenswelten? Soziale Beziehungen und gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland“. Dieser beruht auf den Ergebnissen einer umfassenden repräsentativen Längsschnittstudie mit 12.000 befragten Menschen (German Social Cohesion Panel für 2021). Danach gibt es zwar Tendenzen zu gesellschaftlichen Spaltungen, insbesondere in bestimmten politischen und sozialen "Blasen", doch ist die Gesellschaft "weit davon entfernt, in vollständig polarisierte Lager gespalten zu sein." (S. 9).
Der vollständige Bericht umfasst 132 Seiten und teilt sich in neun Kapitel auf. Nach einer Einleitung zu sozialen Netzwerken und einem ausführlichen Bericht zur Datengrundlage folgen die fünf Hauptkapitel. Im ersten wird der Frage nach der Häufigkeit von bestimmten sozialen Netzwerken und dem Ausmaß der Segregation, also der faktischen Abgrenzung untereinander, nachgegangen. Welche Gruppenzugehörigkeiten gibt es, wie überlagern sich diese Netzwerke, wie durchlässig sind sie? Es folgt die Darstellung der unterschiedlichen Vorstellungen vom gesellschaftlichen Zusammenleben, also den Lebensbildern und -idealen der Menschen in diesen Netzwerken. Dabei wird auch auf Möglichkeiten, Probleme und Konflikte durch diese unterschiedlichen Vorstellungen eingegangen. Wie wirkt sich dies jeweils auf die Demokratie bzw. die Einstellungen zur Demokratie aus, wird im nächsten Kapitel thematisiert und sich danach Fragen zu den „Erfahrungen des Zusammenhalts im Lebensumfeld“ gestellt. Im abschließenden Kapitel zur „affektiven Polarisierung“ geht es darum, ob und wie die beschriebenen Entwicklungen Auswirkungen auf den Zusammenhalt in der deutschen Gesellschaft haben. Im Mittelpunkt steht die „relative Häufigkeit der Sympathiebewertungen für 16 verschiedene sozio-ökonomische, politische, kulturelle und regionale Gruppen.“ (S. 83). Die hier herausgearbeiteten sehr ausdifferenzierten Unterschiede sollten sich sowohl auf politischer Ebene als auch in der sozialen Arbeit und bei den Wohlfahrtsverbänden genauer angesehen werden, denn daraus lassen sich Schlüsse für das eigene Handeln ableiten. Das Fazit dieses Kapitels lautet u.a.: „Auf der einen Seite zeigen sich insgesamt zunächst kaum empirische Indizien dafür, dass die deutsche Bevölkerung affektiv sonderlich polarisiert ist. […] Mit einer Ausnahme verweisen diese Unterschiede aber nicht auf systematische Abwertungen der jeweiligen ‚Out-Group‘. Diese Ausnahme stellt die politische Arbeit dar. Wie in anderen westlichen Demokratien ist auch in Deutschland die affektive Polarisierung konkurrierender politischer Lager – rechts vs. links und insbesondere Anhänger:innen der Grünen vs. Anhänger:innen der AfD – stark ausgeprägt. Dies kann unter anderem daran liegen, dass es im Gegensatz zu anderen Gruppenvorurteilen keine soziale Norm gibt, die die Abwertung des politischen Gegners unterbindet“. (S. 96).
Im Fazit des Berichts heißt es abschließend: „Die deutsche Gesellschaft ist weit davon entfernt, in vollständig polarisierte Lager gespalten zu sein. Gleichwohl finden wir Tendenzen gesellschaftlicher Spaltung. … Für die weitere Forschung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt wird der Längsschnittcharakter der Studie auch Analysen zur Identifikation kausaler Zusammenhänge ermöglichen.“ (S. 103).
Insgesamt besticht der erste Zusammenhaltsbericht durch eine Vielzahl ausdifferenzierter lesenswerter Aussagen und eine Rezeption sollte sich nicht auf die Zitation von bestimmten Einzelaspekten beschränken.Der komplette 132seitige Bericht sowie eine kurze achtseitige Zusammenfassung stehen beide frei auf der Website des FGZ zum Download zur Verfügung: https://fgz-risc.de/bibliothek/zentrale-publikationen/zusammenhaltsbericht
Frank Omland
Öffentlichkeitsarbeit