Repräsentative Umfrage zu Erfahrungen von Patient*innen in der Pandemie

Das Wissenschaftliche Institut der AOK hat im Juli/August 2021 online 5.000 Menschen über 18 Jahre zu ihren Erfahrungen mit der ambulanten ärztlichen Versorgung während der Pandemie befragt. Darunter gaben zwei Fünftel an, „von mindestens einer chronischen Erkrankung betroffen zu sein.“ (S. 2). Das entspricht einem Anteil, der auch aus anderen Umfragen bekannt ist. Die Befragung war bezogen auf das Alter und die Geschlechterverteilung repräsentativ. Eine kurze Auswertung der Ergebnisse wurde im Widomonitor 02/2021 veröffentlicht.
Auf 12 Seiten geht Klaus Zok vom Wissenschaftlichen Institut der AOK dabei auf verschiedene Aspekte der Umfrage ein: Altersgruppen und Geschlecht, erlebte persönliche Folgen der Pandemie, gesundheitsbezogene Verhaltensweisen und subjektive Veränderungen, Behandlungs- und Beratungsqualität, Wünsche zu organisatorischen Veränderungen (Stichwort: Termine), negative Auswirkungen auf chronisch kranke Menschen.
Leider findet sich in dieser kurzen Zusammenfassung aber keine durchgehende alters- und geschlechterdifferenzierte Auswertung.

Das Fazit lautete: Jede zehnte Person hat eine starke bzw. sehr starke Verschlechterung ihrer eigenen gesundheitlichen Situation wahrgenommen, wobei der Anteil bei den chronisch Kranken noch höher liegt (12,1 %). Dabei gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Gesundheitszustand der befragten Personen und der Bewertung der Situation in der Pandemie: Diejenigen, die ihren eigenen Gesundheitszustand als mittelmäßig oder sogar schlecht empfinden, fühlen sich deutlich häufiger von der Pandemie belastet als diejenigen, die ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut einstufen. Gerade jüngere Menschen unter 30 Jahren benennen einen Rückgang der Lebensfreude (39,7 % zu 30,7 % im Durchschnitt). Gleichzeitig hat ein knappes Viertel der jüngeren Menschen Chancen und neue Perspektiven für sich wahrgenommen (22,6 % zu 13,1 % im Durchschnitt), was interessanterweise auch für die chronisch Kranken gilt (15,7 %). Nach Geschlechtern differenziert gaben Frauen deutlich mehr als Männer an, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert hat (11,8 % zu 7,9 % / Durchschnitt: 9,9 %). Das gilt auch für die Beeinträchtigung der eigenen Lebensfreude (34,7 % zu 26,7 % / 30,7 %). Da die Ergebnisse aber in der Folge nicht mehr weiter nach Alter und Geschlecht und chronischer Erkrankung ausdifferenziert werden, ergeben sich keine Antworten auf die Frage von sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren. So fehlt in der Zusammenfassung zum Beispiel eine Antwort auf die Frage, ob jüngere Frauen mit chronischen Erkrankungen am stärksten belastet sind oder ob hier andere Faktoren im Zusammenspiel eine wichtigere Rolle einnehmen.

Wie von einer Krankenkasse zu erwarten, stehen im weiteren Fragen nach dem Gesundheitsverhalten im Mittelpunkt, wobei ein Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie gezogen wird: nahmen sportliche Aktivitäten zu oder ab, wurde mehr oder weniger geraucht bzw. Alkohol konsumiert, wie sah es mit der Nutzung digitaler Medien aus u.ä.m. Hier werden dann auch erstmals Fragen nach dem sozialen Status relevanter: „Der Anteil der sportlich Inaktiven steigt tendenziell mit dem Alter. Erwachsene mit niedrigem sozialen Status (Schulbildung, Haushalts-Nettoeinkommen) sind deutlich weniger sportlich aktiv als Personen mit höherem Sozialstatus.“ (S. 4). Die schon aus anderen Gesundheitsstudien bekannten Muster, etwa beim Rauchen, zeigen sich hier ebenfalls. In der allgemeinen Öffentlichkeit eher unbemerkter dürfte sein, dass der Alkoholkonsum „mit zunehmender Schulbildung und Sozialstatus“ ansteigt. Zudem wird eine vermehrte Nutzung der digitalen Medien konstatiert und mehr als ein Drittel der Erwachsenen hat in der Pandemie deutlich an Gewicht zugenommen (+6,9 % Kilo!). Gleichzeitig ging die Anzahl der Arztbesuche zurück und eine große Mehrheit hat keine Verschlechterung der Qualität von Beratung und Behandlung durch die Ärzteschaft erlebt (i.d.R. 80 % und mehr). Doch in der Minderheit derjenigen, die eine Verschlechterung der Behandlung und Beratung erlebt haben, sind sich darüber sowohl die Menschen, die ihren Gesundheitszustand subjektiv als gut/sehr gut bezeichnen, als auch die Menschen, die ihren Gesundheitszustand als mittel bis schlecht benennen, einig (S. 5). Einen Schwerpunkt der Befragung lag auf erlebten organisatorischen Veränderungen in der ambulanten ärztlichen Versorgung. Ziel scheint es gewesen zu sein, herauszufinden, ob es qualitative Verschlechterungen in der Pandemie gegeben hat. Am offensichtlichsten ist dies bei Terminverschiebungen und -absagen: hierunter haben insbesondere Menschen mit chronischen oder Krebserkrankungen sowie Menschen, die in Psychotherapie sind, gelitten (S. 7). Ein Ranking zu den Veränderungsperspektiven für die ambulant ärztliche Versorgung zeigt, dass hier nicht die Digitalisierung im Vordergrund steht. Die Online-Videogespräche sowie der E-Mail-Austausch mit der Ärzteschaft landen hier auf den letzten Plätzen (16,7 % / 23,0 %), während „Pünktliche Behandlung ohne Wartezeit in der Praxis“ auf der Wunschliste ganz oben rangiert (63,8 %).

„Das oft bemühte Bild der Coronapandemie als Brennglas, das soziale Schieflagen und gesellschaftliche Bruchlinien offenlegt, die nun sichtbarer zutage treten, lässt sich anhand der Befragungsdaten nicht eindeutig ableiten. Die Befunde sind – bezogen auf die ebenfalls erhobenen sozioökonomischen Merkmale – eher unspezifisch zusammengesetzt, auch wenn es Tendenzen gibt“, so das Fazit des Autors (S. 12). Im Gegensatz dazu fehlen mir dafür im Text und den Tabellen vertiefende Belege. Die kurze Zusammenfassung der Umfrage zur Lage von Patient*innen in der Pandemie ist aber auf jeden Fall lesenswert, doch wäre es hilfreich, wenn eine vertiefende Auswertung veröffentlicht wird, die die oben angesprochene Ausdifferenzierung nach Alter, Geschlecht und sozialen Status vornimmt.

Frank Omland,
Öffentlichkeitsarbeit

 

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