Neue UPD auf Konsolidierungskurs?

2015 ging es in den Medien hoch her. Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) war bis dahin von drei bundesweit tätigen patientennahen Organisationen betrieben worden, den Verbraucherzentralen, den Patientenstellen und dem Sozialverband VdK; seit 2000 für zehn Jahre in zwei Phasen als Modellprojekt, seit 2011 als Regelversorgung.

2015 änderte dann der Gesetzgeber die Grundlage, den Paragrafen 65b des fünften Sozialgesetzbuches. Er verlängerte die Laufzeit bis zur Neu-Ausschreibung von fünf auf sieben Jahre und erhöhte das Budget, das die Krankenkassen für die UPD zur Verfügung stellen müssen, von 5,2 auf 9 Millionen Euro im Jahr. Er beseitigte aber nicht einen grundsätzlichen Webfehler des Gesetzes: den Auftrag an den Spitzenverband der Krankenkassen, zu entscheiden, welche Organisationen die UPD betreiben sollen. So vergaben die Krankenkassen die UPD für die Jahre 2016 bis 2022 an ein Callcenter, das schon bisher für Krankenhäuser, ärztliche Leistungserbringer, Krankenversicherungen, Apotheken, Pharmazeutische und Medizintechnik-Unternehmen tätig gewesen war. Seitdem wird das Wort „Unabhängig“, für das das U in UPD steht, von Vielen als Täuschungsmanöver bezeichnet. Ein Unternehmen, das für Leistungserbringer und Kostenträger arbeitet, kann in den Augen der zahlreichen Kritiker nicht unabhängige Patientenunterstützung leisten. Die aber fordert der Paragraf 65b.
 

Die nackten Zahlen

Vor der Übernahme durch das Callcenter-Unternehmen Sanvartis GmbH hatte die „alte“ UPD mehr als 80.000 Beratungen im Jahr durchgeführt. Vollmundig proklamierte die neue „U“PD, sie wolle diese Zahl mit 220.000 fast verdreifachen.

Nun hat sie für das zweite Jahr ihren inhaltlichen Bericht veröffentlicht, den „Monitor Patientenberatung 2017“. Im ersten Jahr waren nur knapp 94.000 Menschen beraten worden, das war das Jahr des Aufbaus neuer Strukturen, denn von der alten UPD hatte die neue so gut wie nichts übernommen. Die 21 regionalen Beratungsstellen und die Bundesgeschäftsstelle der alten UPD hatten schließen und ihre Mitarbeiter entlassen müssen. 2017 waren es bei der neuen UPD dann schon 155.000 Beratungen, immerhin fast das Doppelte der alten UPD und 65 Prozent mehr als im ersten Jahr.

Die Zahl der Beratungen in türkischer, russischer und arabischer Sprache stieg laut dem neuen Bericht auf 1.128, das sind 0,7 Prozent der Gesamtzahl. Bei der alten UPD war der Anteil dieser Beratungen mit 3,9 Prozent allerdings schon wesentlich höher gewesen (3.135 von 80.452, berichtet im UPD-Monitor 2015).
88 Prozent der Beratungen erfolgten telefonisch, bei der alten UPD waren es 78 Prozent gewesen. Es war das ausdrückliche Ziel der Neuvergabe, die Beratung möglichst noch ausschließlicher telefonisch durchzuführen. Die neue UPD hat statt der 21 festen Beratungsstellen der alten UPD in 30 Städten tageweise Beratungsbüros gemietet und betreibt zusätzlich drei Beratungsmobile, die gut 100 entlegenere Orte bedienen. Durch Videokonferenzen können andere Fachberater oder Simultandolmetscher hinzugezogen werden.
 

Die UPD als Seismograph

Eigentlich ist die UPD eine reine Beratungs-Organisation. Aber zu ihren Aufgaben gehört auch, Problemlagen im Gesundheitswesen zu dokumentieren und in ihren jährlichen Berichten an den Patientenbeauftragten der Bundesregierung auf Handlungsbedarf der Politik hinzuweisen. Im Monitor 2017 werden die Problemlagen des vierten Quartals 2017 ausgewertet: Fast 24 Prozent der Beratungsgespräche haben Hinweise auf Probleme enthalten. Im Vordergrund standen dabei mit fast zwei Dritteln Informations-Defizite: Ratsuchende seien falsch, unvollständig oder gar nicht über wichtige Aspekte informiert worden. An zweiter Stelle nennt der Bericht den Zugang zur gesundheitlichen Versorgung: Menschen bekamen keine Termine, wurden abgewiesen oder konnten die jeweiligen Einrichtungen aus finanziellen Gründen nicht erreichen. Den dritten Platz bei den Problemlagen nehmen Qualitätsmängel ein, etwa 1.000 mal im Vierteljahr: Schlechte Leistung, schlechte Organisation, fehlende Qualifikation, Mängel in Ausstattung und Zustand der jeweiligen Einrichtung.

Sehr interessant ist, dass bei den häufigsten Beratungsthemen zuallererst Leistungsansprüche gegenüber Kostenträgern genannt werden, mit 44.000 Beratungen im Jahr und 45 Prozent aller rechtlichen Beratungen der deutlich größte Posten. In dieser Zahl stecken mit einem Drittel knapp 17.000 Anfragen zum Thema Krankengeld. Das war schon in den Jahresberichten der alten UPD die häufigste Klage gewesen: dass Krankenkassen die Krankengeldzahlung einstellen, weil der Medizinische  Dienst der Krankenversicherung (MDK) den Patienten nach Aktenlage für wieder arbeitsfähig hält, weil eine Lücke zwischen den Krankschreibungen entstanden ist oder weil die Höchstdauer für den Bezug dieser Leistung erreicht ist und der Patient nicht ausreichend über die nun möglichen Wege der Absicherung informiert wurde.
Der UPD-Monitor 2017 enthält noch viele weitere Zahlen und Auswertungen, die hier gar nicht alle wiedergegeben werden können. Der Bericht ist öffentlich und gut verständlich geschrieben.
 

Bewertung

Die Versprechungen des Jahres 2015 konnte die neue UPD noch nicht alle einlösen. Ihre Arbeit ist außerdem nicht anhand eines Jahresberichtes allein beurteilbar, für eine fundierte Bewertung müssten die Ergebnisse von Testanrufen und -besuchen hinzugenommen werden. Der Monitor stützt allerdings auch nicht die Befürchtungen, die neue UPD sei gegenüber den Krankenkassen vom angriffslustigen Tiger zum zahmen Bettvorleger geschrumpft, weil ihr Träger, die Callcenter-Organisation Sanvartis, für die Großen im System tätig ist. Die alte UPD war auch kein Tiger. Außerdem werden in diesem Bericht von 2017 heiße Eisen benannt, die auch die alte UPD schon thematisiert hatte, und der Patientenbeauftragte der Bundesregierung wird ihm viele Impulse für die gesundheitspolitische Weiterentwicklung entnehmen können, wenn er will.

Das ist vielleicht der Pferdefuß: Die neue UPD ist voll ins System der Leistungserbringer und Kostenträger integriert, ein ganz normales Callcenter, das ein paar Hinweise auf Missstände geben darf. Sie ist aber keine von Patientenorganisationen getragene Einrichtung mehr, sie steht irgendwo dazwischen im weiten leeren Raum – als Dienstleister für Krankenkassen und Politik.

Patienteninteressen werden woanders vertreten: Seit 2004 etwa auf Bundes- und Landesebene durch die Patientenorganisationen, die durch § 140f und g SGB V und die Patientenbeteiligungsverordnung der Bundesregierung definiert sind. Das ist eine ganz andere Baustelle, da geht es nicht um Beratung, sondern um Beteiligung und Mitgestaltung. Allerdings bisher zum Nulltarif. Das Forum Patientenvertretung in Hamburg als Bündnis der in der Patientenbeteiligungsverordnung genannten Organisationen (www.patienten-hamburg.de) fordert seit Jahren erfolglos eine Professionalisierung der Patientenvertretung in den mehr als 30 Gremien in Hamburg. Nach dem Streik der Patientenvertreter im zweiten Halbjahr 2017 besteht immer noch die leise Hoffnung, in absehbarer Zeit bei der Politik Gehör zu finden, denn die Koordination dieser ehrenamtlichen Beteiligung ist nur noch mit einer hauptamtlichen Kraft zu leisten, und die wird den Patienten noch nicht gegönnt. Vorläufig läuft die Beteiligung deshalb auf Sparflamme.

Christoph Kranich, Verbraucherzentrale Hamburg
 

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