Dieser unabhängige ExpertInnenrat berät die Bundesregierung in Fragen zum Gesundheitswesen und wie die Gesellschaft mit zukünftigen Gesundheitskrisen umgehen sollte. Jetzt gibt es eine 10seitige Stellungnahme zu „Resilienz, Innovation und Teilhabe“.
Zweite Stellungnahme des ExpertInnenrats „Gesundheit und Resilienz“
Dieses unabhängige Gremium berät die Bundesregierung in Fragen zum Gesundheitswesen und wie die Gesellschaft mit zukünftigen Gesundheitskrisen umgehen sollte.
Es ist der Nachfolger des Corona-ExpertInnenrats und hat dementsprechend zuerst eine sechsseitige Stellungnahme zum Thema „Health Security“ erstellt: Gesundheitssicherheit „bezeichnet Fähigkeiten, Ressourcen und Strukturen, welche Gesellschaften in die Lage versetzen, sich vor sicherheitsrelevanten Ereignissen mit negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit zu schützen bzw. deren Auswirkungen zu minimieren.“ (S. 2). Die Stellungnahme zeigt kurz und knapp mögliche Krisenthemenfelder auf und „sieht einen erheblichen Regelungsbedarf mit Zuweisung klarer Zuständigkeiten und Erarbeitung gemeinsamer Konzepte für Health Security Szenarien.“ (S. 6). Interessanterweise gibt er dabei nur an einer Stelle einen sehr konkreten praxisrelevanten Hinweis und zwar wenn er auf einen Bewertungsmaßstab für die Güte der Vorbereitung auf Krisen eingeht: den „in den USA eingesetzten Health Security Preparedness Index“ (S. 5).
In der neuen Stellungnahme geht es um das Thema „Resilienz, Innovation und Teilhabe“.
Hintergrund ist der sich verschärfende Fachkräftemangel im Gesundheitswesen bei voranschreitendem demografischem Wandel in Richtung einer noch älter werdenden Gesellschaft, denn es „gehen rund 30 Prozent der Fachkräfte im Gesundheitssystem in den nächsten 10 Jahren in den Ruhestand.“ (S. 1). Das Gremium erwartet ansteigende Krankenkassenbeiträge und konstatiert: „Es werden vor allem überdurchschnittlich viele Krankenhausbetten vorgehalten und stark überdurchschnittlich viele Leistungen wie etwa Arzt-Patienten-Kontakte und stationäre Behandlungen erbracht. Dieses sehr hohe Angebot führt zu einer hohen Inanspruchnahme mit der Tendenz zu einer Ausweitung von Indikationen und Übertherapien ohne erkennbaren langfristigen Nutzen.“ (S. 2). Laut dem ExpertInnenrat gibt es ein Missverhältnis von Kosten und Effektivität: „Es ist vergleichsweise sehr viel Geld im Gesundheitsversorgungssystem, ohne dass die Gesundheit der Menschen entsprechend besser wird.“ (S. 3). Die gesundheitlichen Ungleichheiten nehmen zu, es gibt ein Nebeneinander von Über- und Unterversorgung und der Fachkräftemangel wird die Situation noch weiter verschärfen: „Die beschriebene demografische Entwicklung und eine insgesamt relativ hohe Krankheitslast in der Bevölkerung, die u.a. durch eine primär auf Krankheit und weniger auf Gesundheitserhaltung und Prävention ausgerichtete Versorgung begünstigt wird, werden die Verteilungsgerechtigkeit innerhalb einer solidarischen Versorgung zunehmend erschweren. Die Gefahr, dass immer weniger Menschen in angemessener Weise am medizinischen Fortschritt teilhaben können, würde sich im Zuge häufig auftretender globaler Polykrisen noch verschärfen.“ (S. 4).
Der ExpertInnen-Rat schlägt deshalb eine Neuausrichtung im Gesundheitswesen vor. So sollte sich unter dem Stichwort Innovationen nicht nur auf Fragen des Nutzens neuer Medikamente konzentriert werden, sondern bspw. auch schädliche Überversorgungen oder die Umverteilung von Aufgaben im Gesundheitswesen in den Blick genommen werden (S. 5-6). Im Kern fordert das Gremium die Erweiterung der Kriterien von „Innovationen“ im Gesundheitswesen um zentrale Fragen zum gesamtgesellschaftlichen Nutzen derselben: „So sollte im Rahmen einer multikriterialen Bewertung neben etablierten Analysen auch erfasst werden, welche bevölkerungs-, umwelt- und verteilungsbezogenen sowie ethischen Implikationen eine Innovation haben kann.“ (S. 7). Das derzeitige zentrale Kriterium „individueller Zusatznutzen“ sollte danach erweitert werden um „Kriterium 2: Kostenveränderung pro betroffener Person; Kriterium 3: Veränderung von Krankheitslast der Bevölkerung und Gesamtausgaben; Kriterium 4: Verteilungsprinzipien und – gerechtigkeit; Kriterium 5: individuelle Verantwortung; Kriterium 6: kollektive Verantwortung; Kriterium 7: Vergleichende Analyse“ (S. 7, Tabelle S. 10). Um sicherzugehen, dass mögliche Veränderungen nicht nur akzeptiert, sondern auch breit diskutiert werden, schlägt das Gremium einen „Input repräsentativer Vertretungen der Gesamtbevölkerung“ vor, der sich an erfolgreichen Modellen aus dem skandinavischen Raum orientieren könnte. (S. 8 unten).
Das nur zehn Seiten umfassende Papier wirft viele Fragen dazu auf, wie sich ein künftiges Gesundheitswesen aufstellen könnte bzw. auch sollte. Das kann nicht ohne Konflikte und Auseinandersetzungen gehen, denn zu unterschiedlich sind die Interessen der verschiedenen Beteiligten. Ob sich der leicht optimistische Unterton des Schlusssatzes der Stellungnahme bewahrheiten wird, wird die Zukunft zeigen: „Eine interaktiv-dialogorientierte Kommunikation, die auch im sozialen Setting verortet ist und an motivationalen sowie emotionalen Barrieren ansetzt, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Botschaften ankommen und das Risiko von Reaktanz reduziert wird.“
Frank Omland
(Öffentlichkeitsarbeit)